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Was Hat Es Mit Den Neuen Dating-Phänomenen Auf Sich? Ghosting, Benching, Love Bombing

Stashing, Benching, Breadcrumbing, Love Bombing … Warum alte Verhaltensweisen plötzlich neue, englische Namen erhalten und was sich tatsächlich bei der Partnersuche und dem Kennenlernen in den vergangenen Jahren verändert hat.

Früher war alles besser? Der Eindruck kann entstehen, wenn man immer wieder Schlagzeilen liest von einem neuen Dating-Phänomen, noch fieser als der vorherige. Auf Ghosting folgte Benching und so ging es weiter und wird auch weiter gehen. Obwohl es sich natürlich nicht um gänzlich neue Verhaltensweisen handelt, sondern um altbekannte Schutz- und Vermeidungsstrategien, die einem Partner das Leben leicht und dem anderen besonders schwer macht. Ghosting, also das Verschwinden wie ein Geist nach einigen Dates, gab es schon vor einigen Jahrzehnten. Warum dieses “sich einfach nicht mehr melden” jetzt den “coolen” englischen Namen bekommen hat? Das hat zwei Gründe und beide haben mit dem Internet zu tun.

Grund 1 für die “neuen” Dating-Phänomene:

SEO. Oder Suchmaschinenoptimierung. Um Besucher auf eine Webseite zu ziehen, werden Texte heute so formuliert, dass sie die wichtigsten Begriffe beinhalten, die ein potentieller Leser bei einer Suchmaschine eingeben würde, die sogenannten Keywords. Nun wurde nahezu jeder Begriff und jede Suchanfrage bereits derart optimiert, dass niemand mehr mit “Er meldet sich nicht mehr” noch eine relevante Positionierung auf der Ergebnisseite der Suchmaschine erwarten darf. Neue Begriffe dagegen bieten viel Potential, selbst an den großen Platzhirschen vorbeizuziehen. Deshalb entwickeln Blogger und Online Magazine immer wieder Neuschöpfungen, denn die werden gesucht und so kommen neue Leser auf kleine, unbekannte Seiten, sobald größere Medien sich des Themas annehmen und auf diese Seiten verweisen. Meine Prognose dazu: das wird nicht besser werden …

Grund 2 für die gefühlte Zunahme solcher Verhaltensweisen:

Angst. Oder etwas weniger drastisch: fehlender Mut. Alle diese Dating-Phänomene wie Ghosting, Benching und Love Bombing haben nämlich gemeinsam, dass sie aus Verlustangst oder Bindungsangst heraus entstehen. Dass sie Schutzstrategien darstellen und dass sich der Handelnde direkter Konfrontation und Kritik entziehen will. Meine Vermutung dabei ist: auch das hat den Ursprung im Internet, genauer gesagt in den Dating Apps, die das ganz schnelle Kennenlernen propagieren und somit zunehmend auch das schnelle Ende, wenn der Kontakt doch nicht so aufregend blieb wie erhofft.

Den Partner vor Freunden und Familie verstecken: Stashing

Stashing ist ganz sicher kein neues Phänomen. Seit es nicht mehr Standard ist, dass er sie fürs Date bei den Eltern abholt, hat der Zwang zur Vorstellung doch sehr nachgelassen. Wenn man es macht, dann freiwillig und als Zeichen von Wertschätzung. Verstecken kann man den Partner jedoch auch vor Freunden oder überhaupt jeder Öffentlichkeit. Manche Singles klagen, außer Sofa und Bett hätten sie vom Lebensraum des neuen Kontaktes gar nichts kennengelernt. Keine Bar, kein Restaurant, kein Club – dank Lieferservice und Streaming-Diensten. Und das ist dann doch ein recht neues Phänomen. Die meisten Kontakte vor Dating Apps wurden über Freunde, den Arbeitsplatz, die Freizeit, also im weitesten Sinne innerhalb des sozialen Netzwerkes, geknüpft. Es war zuvor kein Massenphänomen Menschen kennenzulernen, die man sonst nie getroffen hätte. Das bedeutet: noch vor wenigen Jahren stammte der neue Kontakt irgendwie immer aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis, heute muss er erst dort integriert werden. Dieses Vorstellen erfordert Mut, denn die zarte Pflanze Verliebtheit übersteht selten einen eisigen Kritikguss, wenn alle Freunde die Augen verdrehen oder per Textnachricht fragen, ob „das wirklich dein Ernst wäre?“ Die Angst vor Zurückweisung durch ausbleibende Anerkennung ist gewaltig, weil Online Dating sie ein Stück weit überflüssig gemacht hat. Wer diesen Mut zu Beginn des Kennenlernens nicht aufbringen musste, scheint für spätere Herausforderungen leider nicht gut gerüstet zu sein.

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Wovor haben Singles Angst? Ist es die Angst vor Nähe oder die Angst zu scheitern, etwas zu verpassen? Was steckt dahinter?

Bereits der deutsche Analytiker und Therapeut Fritz Riemann legte mit „Grundformen der Angst“ im vergangenen Jahrhundert ein Modell vor, das aufzeigte, wie alle unsere Glaubenssätze aus Angst entstehen und unsere Verhaltensweisen Schutzstrategien darstellen, gefährliche Situationen, vor denen wir uns fürchten, zu vermeiden. Viel Angst bedeutet hohe Vermeidung. Beim Ghosting oder Benching steht die Furcht vor dem direkten Konflikt im Vordergrund. Der Partner mit dem geringeren Interesse will sich einfach nicht mit den Reaktionen des Anderen direkt auseinandersetzen müssen. Er taucht lieber ab. Und es scheint, was mit „Wisch & Weg“ im Internet beginnt, endet zunehmend auch so. Und die meisten Beziehungen heute beginnen mit einer relativ sicheren Kontaktaufnahme im Internet. Anbieter von Dating Apps wollen es den Singles so risikolos wie möglich machen, aufeinander zuzugehen.

Vor Tinder gab es beispielsweise ein Angebot mit dem Namen „Yes, no, maybe“. Statt wie heute nach rechts oder links zu wischen, gab es noch die eher unsichere Kategorie „Vielleicht“. Hat sich nicht durchgesetzt, weil eben noch ein Zweifel blieb. Singles müssen immer weniger Angst vor Zurückweisung haben, sie verlernen dabei aber auch, mit Zurückweisung umzugehen. Einige schreiben dann Bücher über die schlimmsten Dates ihres Lebens, die ganz offensichtlich wie traumatische Erfahrungen waren. Ich tue mir mit diesen Büchern sehr schwer, nicht, weil ich sie meist nicht komisch, sondern eher bösartig finde, vor allem weil die Erwartungshaltung an beispielsweise das erste Date mir völlig überzogen erscheint. Wir sprechen von nichts anderem als einem ersten Treffen, das nur dazu dient herauszufinden, ob es ein zweites Treffen gibt. Wenn Sie sich aber diese schlimmen Erfahrungsberichte ansehen, gewinnen Sie den Eindruck, Partnersuche ist Krieg.

Einige Singles stürzen sich deshalb in Selbstoptimierung. Sie versuchen einen Korb zu vermeiden, indem sie sich zu dem vermeintlichen Traumpartner verwandeln, den sie sich selbst wünschen: mehr Sport, mehr außergewöhnliche Freizeit-Aktivitäten, mehr Anerkennung … Dahinter verbirgt sich jedoch eine riesige Unsicherheit, die aber niemals angegangen wird, sondern nur überstrichen und verdrängt. Das macht Singles dann so empfänglich für Phänomene wie Love Bombing, wenn ein ebenso unsicherer Mensch, meist mit starken narzisstischen Persönlichkeitsanteilen, sich so sehr um sie bemüht, dass sie endlich einen Moment ihre Angst vergessen können. Geht die Beziehung dann schief, ist die Verletzung umso tiefer, umso euphorischer der Auftakt erschien. Es sind die verletzten Singles, die dann die Schutzstrategien entwickeln, die wir heute als vorgeblich neue Dating-Phänomene kennenlernen. So kann man auch Ghosting als Schutzstrategie sehen: die Konfrontation mit den Gefühlen des abgelehnten Partners ersparen und eine Auseinandersetzung vermeiden.

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Woher kommen diese vielen Ängste?

Bindungsangst ebenso wie Verlustangst nähren sich durch einen verletzten Selbstwert. Und der begründet sich aus Glaubenssätzen und Überzeugungen wie „Ich bin nicht wichtig“, „Ich schaffe das nicht“, oder „Ich falle zur Last“. Solche Glaubenssätze entstehen in der frühen Kindheit in der Beziehung zu den Eltern oder Bezugspersonen, sie werden aber auch beeinflusst durch die Erfahrungen in Liebesbeziehungen, also der eigenen Beziehungshistorie. Wer einmal schmerzhaft erlebt hat, betrogen worden zu sein, ohne Vorwarnung, aus heiterem Himmel, der stellt alles in Frage: „Wie konnte ich das nicht bemerken? Was stimmt nicht mit mir?“ Der Selbstwert leidet, das eigene Empfinden wird in Frage gestellt und der Wahrnehmung nicht mehr vertraut. Überhaupt kein Wunder, dass Menschen danach nun – bewusst und unbewusst – alle möglichen Schutzstrategien entwickeln, um eine solche Verletzung zu vermeiden.

Die einen geben sich nun extra Mühe und wollen beweisen, dass sie liebenswürdig sind und geben sich dabei auf, die anderen tun alles, damit ihnen niemand mehr so nahekommen kann, der sie dann verletzen könnte. Unerreichbare Partner, maßlos überhöhte Ansprüche sind beispielsweise effektvolle Vermeidungsstrategien, denen die Betroffenen sich selten bewusst sind. Im Gegenteil scheint sich die Welt gegen sie verschworen haben, sie wünschen sich ja so sehr Nähe und Liebe – nur niemand weiß das zu würdigen, so kommt es ihnen vor. Doch derart Verletzte ziehen aus ihrer Position der Schwäche vor allem Personen an, die ebenfalls einen verletzten Selbstwert haben und die ihre Kraft aus den Bemühungen Anderer ziehen. Die Folge ist jene unglückliche Paar-Dynamik, wenn der Wunsch nach Nähe auf Wunsch nach Distanz trifft. Irgendwann hält das Paar dies nicht mehr aus und die Beziehung zerbricht oder das Kennenlernen wird abgebrochen. Und jeder fühlt sich bestätigt, dass Partnersuche anstrengend und verletzend ist. Man stellt die Fähigkeit zur Verbindlichkeit in Frage – und der Kreislauf aus Schutzstrategien beginnt erneut. Allerdings machen die alles nur schlimmer, nicht besser. Sie festigen die Muster sogar.

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Welchen Einfluss haben die Medien und Dating Apps an Phänomenen wie Ghosting und Love Bombing?

Mein Eindruck ist durchaus, dass wir uns mit Verlustangst und Bindungsangst stärker beschäftigen als noch vor zehn Jahren. Aber ich erfahre von Betroffenen auch außerhalb der Praxis in hoher Fallzahl. Ich betreue als Chefredakteur das Online Magazin beziehungsweise. Dort schreiben uns täglich Leser ihre Liebesgeschichten, authentische Erlebnisse in den eigenen Worten. Die überwältigende Mehrheit handelt von Vertrauensverlust und den Problemen, erneut wieder Vertrauen fassen zu können. Ich halte den Begriff „beziehungsunfähig“ für ziemlichen Unsinn. Es gibt sicher Menschen mit nicht allzu großem Beziehungspotential, aber wir sprechen ja nicht von aggressiven Schlägern und Betrügern, sondern von Personen, deren Selbstwert in seiner Angst vor neuerlichen Verletzungen das Liebesglück sabotiert. Und dieser Selbstwert, das ist nun durch mehrere Studien belegt, wird durch soziale Medien gerade nicht gestärkt.

Nehmen Sie diese glücklichen Paare auf Instagram, die Händchen haltend die schönsten Strände und Plätze der Erde bereisen und Hunderttausende Follower haben. Die sitzen gerade irgendwo, wollen sich kurz ablenken von ihrem Alltag, der sie stresst und auf andere Gedanken kommen und sind also nicht in der Verfassung, anderen Menschen alles Glück der Welt zu wünschen, sondern sie wünschen sich selbst ein Stück dieses Glücks. Das kann nur frustrieren, denn natürlich flüstert da eine Stimme: „Warum habe ich nicht, was die haben?“ Und das Selbstwertgefühl erhält einen neuen Tritt.

Bücher, Filme und Serien sind heute so auf Erfolg gescriptet, dass Liebesbeziehungen keine Sekunde mehr realistisch dargestellt werden. Jede Szene muss dramaturgische Zwecke erfüllen. Da gibt es kein nebeneinander her Leben, nicht das Schweigen auf dem Sofa nach einem langen Tag, nicht die Stunden Warten auf die nächste Textnachricht – kein Zuschauer würde dafür bezahlen. Diesen Effekt, die eigene Liebesbeziehung nach unrealistischen Vorbildern ausrichten zu wollen – und an dem Anspruch zu scheitern – nenne ich die „Disneyfizierung der Liebe“. Viele Singles wünschen sich den Partner, mit dem all das Glück der Pinterest-Paare erlebbar wäre – am liebsten ein Leben lang. Eine falsche Partnerwahl ruiniert dieses Ziel. Kein Wunder, dass die Angst vor der falschen Partnerwahl immer größer wird. Besonders wenn die Erfahrungen die Furcht noch weiter bestätigen. Zur Liebe gehört Mut. Genau das Gegenteil von Angst.

ElitePartner hat in einer Studie meinen Begriff “Disneyfizierung der Liebe” aufgegriffen und überprüft. Und tatsächlich lassen sich Paare beeinflussen durch die mediale Inszenierung von Beziehungsglück.

Wie können Betroffene von Ghosting wieder lernen zu vertrauen?

Ganz viele meiner Beratungsanfragen entstammen in einer Form traumatisch erlebten Beziehungserfahrungen. “Ich kann nie wieder vertrauen”, ist ein Satz, den viele Betroffene wie unveränderliches Schicksal verwenden. Doch das ist nicht richtig. Das lässt sich heilen! Es gibt zahlreiche bewährte Methoden, sogar mit traumatischen Erlebnissen neu umgehen zu lernen und neue Glaubenssätze zu entwickeln. Beispielsweise ACT (Akzeptanz- und Commitment-Therapie) oder auch Ressourcenaktivierung mit EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) zeigen viel versprechende Erfolge. Wenn Sie für sich erleben, dass Sie kein Vertrauen mehr entwickeln können, dann lassen Sie sich helfen. Warten Sie nicht, dass es von alleine besser wird – das wird es nicht! Und das Leben ist zu kurz, um es dabei zu belassen.

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Eric Hegmann ist Paartherapeut, Single-Coach und Autor. Er hat über ein Dutzend Bücher zu Liebe, Partnerschaft und Partnersuche veröffentlicht. Er ist Co-Gründer der Modern Love School .

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